Blumenstrauß-Projekt 2018

„Blumenstraußprojekt“ mit Ruth Winkelmann

Aus Anlass des „Blumenstraußprojekts“ am 27. Januar hat unsere Klasse, die 10c, eine der wenigen noch überlebenden Zeitzeuginnen eingeladen, um mit ihr über ihre Vergangenheit zu sprechen.

Was ist überhaupt das „Blumenstraußprojekt“? Das „Blumenstraußprojekt“ ist eine Geste des Respekts gegenüber den überlebenden Opfern des Nationalsozialismus. Sie werden in die Schulen eingeladen oder zuhause besucht und erhalten als Zeichen der Hochachtung einen Blumenstrauß. Das Projekt geht auf eine Initiative der Publizistin Inge Deutschkron zurück, die die NS-Zeit als kleines jüdisches Mädchen überlebte und im Jahr 2006 anregte, der Gefangenen zu gedenken, die am 27. Januar 1945 aus dem Konzentrationslager in Ausschwitz befreit wurden. Das Projekt umfasst mittlerweile aber auch generell die Menschen, die das „Dritte Reich“ als Gefangene oder Protestierende überlebten. Die Idee von Frau Deutschkron entwickelte sich zu einem gemeinsamen Projekt mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie sowie der Senatskanzlei. Im Vordergrund geht es dabei um den persönlichen Kontakt zwischen Schülern und Zeitzeugen, die von ihrer Geschichte berichten. Ein Theaterstück mit dem Titel „Ab heute heißt du Sara“ wurde nach der Biographie Inge Deutschkrons verfasst und bis heute mehr als 350 Mal aufgeführt. Es soll Schüler dazu anregen, sich mehr mit den Themen Nationalsozialismus und Judenverfolgung zu befassen uns sich davon anregen zu lassen – auch wir haben es uns angesehen.

Erstmals fand eine Veranstaltung dazu im Jahr 2008 an unserer Schule statt, seither wird das Projekt kontinuierlich fortgeführt. Am 9. März 2018 hatte unsere Klasse dann die Ehre, selbst von einer Zeitzeugin besucht zu werden. Frau Winkelmann, nach der Rassenlehre der NSDAP in der NS-Zeit als „Halbjüdin”“ eingestuft, las uns aus ihrer Autobiographie „Plötzlich hieß ich Sara“ vor.

Ruth Winkelmann kam 1928 als Tochter von Hermann und Elly Jacks in Hohen Neuendorf bei Berlin auf die Welt. Ihre Vorfahren lebten schon seit Jahrhunderten in Deutschland, ihr Großvater hatte im Ersten Weltkrieg als deutscher Soldat gekämpft. Ruth hatte eine behütete Kindheit – bis plötzlich die Religionszugehörigkeit ihrer Eltern zum Problem wurde. Ihr Vater war jüdischen Glaubens, ihre Mutter, eine getaufte Protestantin, war zum jüdischen Glauben konvertiert. In der Zeit des Nationalsozialismus galt war Ruth als „Geltungsjüdin”“ eingestuft, denn sie war in einer jüdischen Gemeinde registriert. Deshalb musste Ruth, die mittlerweile in Berlin lebte, immer ihren Ausweis dabeihaben, musste in einer Fabrik Wehrmachtsuniformen ausbessern und sich immer wieder verstecken, denn die Gefahr einer Deportation war groß. Sie musste zusehen wie der Laden ihrer Großeltern geschlossen und für einen Spottpreis verkauft wurde. Kurz darauf wurden ihre Großeltern und ihr Onkel abgeholt und in Riga ermordet. Auch ihr Vater wurde nach Auschwitz-Monowitz deportiert und ermordet. Sie und ihre Mutter schafften es, zu überleben, und wir hatten die Chance, ihr ein paar Fragen zu stellen:

Frau Winkelmann, nach allem, was Sie in Berlin erlebten: Warum sind Sie nach dem Krieg in Berlin geblieben?
„Meine Familie lebte immer schon in Berlin. Uns gehörten in Hohen Neuendorf und Berlin Grundstücke, an denen ich immer noch hänge.“

Was sind Ihre Gefühle, wenn Sie über die Zeit des Nationalsozialismus reden?
„Ganz lange konnte ich nicht über diese Zeit reden, ohne anzufangen zu heulen, aber irgendwann trauert man nur noch über diese Zeit. Die Trauer wird nie weggehen, aber man kann sie unter Kontrolle bringen, auch wenn einen die Emotionen manchmal einholen. Aber es ist tatsächlich so, dass ich nie wütend war. Immer nur traurig.“

Wie kamen Sie darauf, Ihre Geschichte aufzuschreiben?
„Ich wurde mal von einer Frau mit Kind auf meinen David-Stern angesprochen. Sie hat mich gefragt, ob ich zu dem Symbol eine enge Verbindung habe und ich sagte, ja, eine sehr enge. Sie fragte mich, ob ich mal darüber in der Schule ihres Kindes berichten könnte, und ich sagte ja. Dann musste ich mich erstmal hinsetzen und alles zusammenbringen, was ich über diese Zeit noch weiß.“

Haben Sie Menschen getroffen, die auch über diese Zeit ein Buch geschrieben haben?
„Ja, denn es gibt Veranstaltungen extra für Zeitzeugen, die Bücher über ihre Vergangenheit geschrieben haben. Ich habe sehr viele Menschen dort kennengelernt.“

Hatten Sie Angst nach Ende des Krieges?
„Ja sehr, obwohl meine Mutter und ich das Gefühl hatten, dass wir befreit waren, wussten wir, dass wir uns noch nicht sicher fühlen durften. Ich hatte auch große Angst vor den Russen.“

Haben Sie mit Freunden aus der Kriegszeit Kontakt gehalten?
„Leider nur mit einem Geschwisterpaar, das nach Israel gegangen ist. Ich kannte sie aus meiner Schulzeit.“

Für Frau Winkelmann war der 8. Mai 1945 trotz allem ein Tag der Befreiung, denn sie wusste, dass dieser Tag das Ende der Judenverfolgung und das Ende des Versteckens bedeutete. Ruth Winkelmann hat uns mit ihrem Buch „Plötzlich hieß ich Sara“ gezeigt, was für ein schreckliches Gefühl es ist, wenn man in seinem eigenen Heimatland nicht mehr willkommen ist.

Nina Rosenkranz / Tobias Pahl 10c

18.03.18